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Dissertationen (eigene und begutachtete):

B. Knoll:
"Verkehrs- und Mobilitätserhebung. Einführung in Gender Planning";
Betreuer/in(nen), Begutachter/in(nen): H. Knoflacher, R. Risser; Institut für Verkehrsplanung und Verkehrstechnik, 2006; Rigorosum: 23.11.2006.



Kurzfassung deutsch:
Die vorliegende Dissertation mit dem Titel "Verkehrs- und Mobilitätserhebungen. Einführung in Gender Planning" beschäftigt sich mit den Zusammenhängen von Gender - "dem sozialen Geschlecht" - und Planung. Ziel ist es die Relevanz und Bedeutung von Gender in planerisch tätigen Organisationen, in Planungsdiskursen sowie in Planungsprozessen aufzuzeigen. Die Genderperspektive einzunehmen bedeutet einerseits die bestehenden Geschlechterverhältnisse und Hierarchien zu thematisieren und andererseits aktiv an einer Veränderung hin zu mehr Geschlechter¬gerechtigkeit beizutragen.
Im ersten Kapitel Gendertheoretische Positionierungen werden die feministisch¬theoretischen Grundlagen vorgestellt, auf denen die Arbeit aufbaut. Feministische Forschung und Genderforschung richten ihren Blick auf die unterschiedlichen Lebensrealitäten von Menschen und thematisieren Geschlechterverhältnisse, -zu¬schreibungen und -konstruktionen. In einem Oberblick werden die Entwicklungs¬linien der feministischen Planung nachgezeichnet, wobei der Schwerpunkt auf der Neuen Frauenbewegung seit den 1970er Jahren im deutschsprachigen Raum liegt.
Das zweite Kapitel Gender / Planning zeigt auf, dass Planung immer eingebettet in den bestehenden Geschlechterverhältnissen, Geschlechterzuschreibungen und -konstruktionen unserer Gesellschaft stattfindet. Planung wird von Menschen gemacht und diese bewegen sich innerhalb von Organisationen, sind in und durch Organisationen, wie Schuten und Universitäten, Fachhochschuten ausgebildet, arbeiten in öffentlichen Verwaltungen, in Verbanden, in Unternehmen, in politischen Organi¬sationen. Mit Hilfe einer - erstmals in diesem Umfang für Osterreich vorliegenden - quantitativen Gender Analyse der Akteurlnnen jener Organisationen, die in Oster¬reich verkehrsplanerische Maßnahmen konzipieren, planen und umsetzen, wird das ungleiche Geschlechterverhältnis zahlenmäßig deutlich. Wie die Arbeit zeigt, bildet sich Geschlecht in Organisationen nicht nur durch das biologische Geschlecht der Akteurlnnen ab, sondern Geschlechterkonstruktionen sind in internen Ablaufen, in der Arbeitskultur, in der Art und Weise, wie Frauen und Männer wahrgenommen werden, eingeschrieben.
Planung passiert immer eingebettet im fachlichen Diskurs, Lehrmeinungen, so genannte Planungsgrundsatze, Planungsmoden aber auch die Ideen und Visionen der "großen Meister" haben Einfluss auf die Planung. Gerade im planerischen Fach¬diskurs gibt es eine Vielzahl von Annahmen, in denen Geschlechterkonstruktionen oft implizit ("Wir planen ja für alle Menschen") - manchmal auch explizit ("Die Kinder¬wagenrampen für die Frauen") eingeschrieben sind. Nicht zuletzt verortet sich Planung - ob gewollt oder nicht - auch innerhalb des wissenschaftlich-akademischen Diskurses, meist - als angewandte Ingenieurwissenschaft - an der Schnittstelle zwischen "den Gesellschaftswissenschaften" und "der Technik".
Planungsprozesse in Osterreich sind bestimmt und beeinflusst von einer Vielzahl an normativen Vorgaben, wie den Raumordnungs- bzw. Raumplanungsgesetzen sowie der Bauordnungen der einzelnen Bundesländer. Gesetzliche Vorgaben sind nicht geschlechtsneutral, spiegeln sich doch traditionelle Konzeptionen von wohnen, arbeiten, etc. auch in den Vorgaben wider. Baulich-räumliche Strukturen, infrastruk¬turelle Maßnahmen i.w.S., aber auch Plane sind als quasi ..Produkte", Ergebnisse von Planungsprozessen, die eingebettet in Planungsdiskursen in und durch verge¬schlechtlichte Organisationen "erzeugt" werden, zu verstehen. Daher sind auch in diesen Strukturen und Rahmenbedingungen Geschlechter- und somit Machtverhält¬nisse eingeschrieben.
Schematisch und konzeptuell wird in diesem Kapitel herausgearbeitet, wie die Gender¬perspektive in die Planung eingebracht werden kann und muss, wie Gender Planning umgesetzt werden kann und muss, um dem Ziel der Geschlechtergerechtigkeit naher zu kommen. Eine unterstutzende Strategie zur Veränderung dabei ist Gender Mainstreaming. Als horizontales Ziel der Europäischen Union formuliert, bringt Gender Mainstreaming die Perspektive der Geschlechterverhältnisse in alle politischen (und so auch in alle planerischen) Prozesse und zielt auf Geschlechtergerechtigkeit ab. Gender Mainstreaming als Strategie ist in Osterreich sowohl auf Bundes- als auch auf Bundesländerebene in diversen Beschlüssen formuliert.
Im dritten Kapitel Verkehrs- und Mobilitätserhebungen werden an einer verhaltens¬bezogenen Methode zur Verkehrserhebung, nämlich der Haushaltsbefragung, geschlechtsspezifische Zuschreibungen und eingeschriebene Geschlechterkon¬struktionen aufgedeckt. Als konkrete Beispiele werden aktuelle Mobilitätserhebungen aus Osterreich und Deutschland, wie die "Verkehrserhebung Oberösterreich" (2001), die bundesweite Erhebung "Mobilität in Deutschland" (2002) sowie die "Mobilitätsbe¬fragung Niederösterreich" (2003) herangezogen.
Die feministische Analyse zeigt, dass sich nicht erst in den Auswertungen und Interpre¬tationen der Daten sondern bereits im Fragebogen Vereinfachungen und Verkürzungen finden, die wesentliche Aspekte des Mobilitätsverhaltens vor allem von Menschen, die Betreuungspflichten für andere Personen im Alltag wahrnehmen, ausblenden. So werden durch die exemplarisch vorgestellten Mobilitätserhebungen kurze Wege, Begleitwege und komplexe Wegeketten nicht adäquat erhoben. Nebenbei-Wege, wie auf dem Weg zum Arbeitsplatz noch schnell in die Reinigung sind ein wesentlicher Teil der Alltagsmobilität, kommen aber in den Auswertungen durchwegs nicht vor. In den Kategorien, die bei den so genannten ,,Wegezwecken" zur Auswahl stehen, spiegeln sich patriarchale Lebensentwurfe wider: Wege, die mit Haus- and Versorgungsarbeit zusammenhangen, sind verkürzt dargestellt bzw. ganz ausgeblendet. Die gesell¬schaftliche Arbeit, die aufgrund der herrschenden Geschlechterordnung tendenziell Frauen zugewiesen wird, bleibt unsichtbar and kommt in den Auswertungen nicht vor. Bei der Auswertung and Interpretation von Mobilitätserhebungen wird meist nicht nach Geschlechtern and/oder Lebenssituationen differenziert. Auf die Wechselwir¬kungen zwischen Siedlungsstrukturen bzw. Infrastrukturangeboten and Verkehrsge¬schehen wird bei Auswertungen and Prognosen in der Regel ebenfalls nicht einge¬gangen. Die feministische Analyse macht deutlich, dass mit den gängigen Methoden wesentliche Informationen zum Mobilitätsverhalten von Menschen nicht erhoben and nicht ausgewertet bzw. interpretiert werden können. Der Verkehrs- and Sied¬lungsplanung stehen somit nicht alle relevanten planerischen Grundlageninforma¬tionen zur Verfugung.
Diesem Defizit kann durch die Entwicklung einer neuen Methode entgegengesteuert werden. In einem empirischen Teil wird die Methode "Wegenetz-Analysen mit den Alltagswege-Planen" vorgestellt, eine gendersensible Methode zur Erhebung der Alltagsmobilität von Menschen, kombiniert mit der Erfassung von baulich-räum¬lichen Strukturen. Diese gendersensible Methode liefert Informationen zur geschlechterspezifischen Alltagsmobilität and auch mehr Informationen zu den Hintergründen der Mobilität von Menschen and zeigt, dass Mobilität vielfältig ist and dass täglich viele Wege mit ganz unterschiedlichen and oft kombinierten Wege¬zwecken von Menschen zurückgelegt werden.
Anhand von exemplarischen Beispielen in einem innerstädtischen Gebiet in Wien werden die vielfältigen Mobilitätsmuster and Wegeketten von Frauen, Männern and Jugendlichen auf Planen visualisiert and im eigentlichen Sinne nachgezeichnet. Diese explorative Studie stellt einen ersten Beitrag dar, wie Genderaspekte in die Methoden der Mobilitätserhebung eingebracht werden können.

Kurzfassung englisch:
The thesis with the title "Travel and Mobility Surveys. Introduction to Gender Planning" examines the connections between gender - the social aspects of gender - and plan¬ning. Its objective is to show the relevance and importance of gender in planning organizations and processes. Taking on a gender perspective means discussing exi¬sting gender relations and hierarchies on the one hand, and actively contributing to changes towards increasing gender equality on the other hand.
The first chapter Positioning Within Gender Theories introduces the thesis' theoretical foundations. Feminist research and gender studies examine the different life realities of people and discuss gender relations, gender attributions and gender constructions. In an overview, I trace the lines of the development of feminist planning with an emphasis on the second wave women's movement in the German-speaking countries since the 1970s.
The second chapter Gender/Planning demonstrates how planning is always embedded within preexisting gender relations, gender attributions and gender constructions in our society. People make the planning, and move within organizations, are educated by and within organizations like schools, universities, and technical colleges, and they work in public administrations, in associations, companies, and political organizations. A quantitative gender analysis of the actors within organisations that design, plan, and realize measures for traffic engineering in Austria, which is now available for the first time on this scale, clearly exposes the unequal gender relations statistically. Not only the biological sex of the actors is reflected in organizations, but also gender: the body of literature has shown that gender constructions are inscribed in internal pro¬cesses, in work culture, in the way women and men are perceived within organizations. Planning is always embedded in specialist discourses, doctrines, so-called general principles of planning, fashions of planning, and the ideas and visions of the "great thinkers" also have an impact on planning. In the specialist discourse on planning there are a great number of assumptions into which gender constructions are often implicitly ("We plan for all people"), and at times explicitly ("The stroller ramps for women"), inscribed. Last but not least, planning is situated within academic and scientific discourses; as engineering science planning is in most cases - intentionally or not - located at the interface of "social science" and "technology
In Austria, planning processes are governed and influenced by a number of normative guidelines, like spatial and regional planning acts and the building regulations in each province. Legal regulations are not gender-neutral, instead, their guidelines reflect traditional concepts of living, working etc. Spatial structures of the built environment, infrastructural measures in a broader sense, as well as plans must be conceived as practical "products" or as the outcome of planning processes embedded in planning discourses and "produced" by gendered organizations. Thus, gender and, consequently, power relations are inscribed within these structures and basic conditions.
In this chapter I will schematically and conceptually elaborate on how a gender per¬spective can and must be integrated into planning, as well as how gender planning can be realized to come closer to attaining gender equality. Here, gender mainstreaming is a strategy that supports change. Devised as a horizontal objective, gender main-streaming introduces a perspective of gender relations into all political (and thus also planning) processes, and aims to achieve gender equality. In Austria, gender main-streaming has been included as a strategy in numerous decisions on both a state and local levels.
In the third chapter Travel and Mobility Surveys gender attributions and constructions are revealed using the example of a behavioral method: the household survey. Current mobility surveys from Austria and Germany, such as, the Upper Austria Travel Survey ("Verkehrserhebung Oberösterreich", 2001, the national survey on Mobility in Germany ("Mobilität in Deutschland", 2002), as well as the Lower Austria Mobility Survey ("Mobilitätsbefragung Niederösterreich", 2003) provide the concrete examples for analysis.
The feminist analysis shows that not only the interpretations of the data, but also the questionnaires reveal reductions and simplifications, which veil crucial aspects in the behavior concerning mobility, particularly the behavior of caregivers in their every-day lives. Thus, the common methods of mobility survey do not adequately examine short trips, trips taken to accompany others, or complex combinations of single distances. Even though paths along the way, such as a small detour to the dry cleaners on the way to work, are important parts of everyday mobility, they cannot be found in the analyses. The categories available under so-called "travel purposes" reflect patriarchal life concepts: trips made in connection with domestic work and care giving are either underrepresented or fully hidden. The social duties predominantly assigned to women based on the prevailing gender order remains invisible and are nowhere to be found in the data interpretation.
In most cases, the analyses and interpretations of mobility surveys do not differentiate between genders or life circumstances. In addition, interpretations and prognoses do not usually mention the interdependencies between settlement structures, the infra-structure available, and traffic.
The feminist analysis shows that crucial information on people's mobility behavior cannot be surveyed, analyzed, or interpreted with the usual methods. Hence, not all the basic and necessary information is available for traffic and settlement planning.
A way to make up for this deficiency is to develop new methods. In an empirical section, I will introduce the method "mapping everyday trips," a gender-sensitive method for surveying people's everyday mobility that combines elements of surveying spatial structures of the built environment. This gender-sensitive method provides gender-specific information on everyday mobility and also conveys background information on people's mobility. It demonstrates the manifold character of mobility and shows that people cover a great number of distances in their everyday lives based on rather different and often combined travel purposes.
Using visual representations of the manifold mobility patterns and trip combinations of women, men, and youth in a sample inner-city area of Vienna, I visually map out, and therefore literally trace, their patterns.
The explorative survey makes a contribution to integrate the gender perspective within the methods of travel an mobility surveys.

Erstellt aus der Publikationsdatenbank der Technischen Universität Wien.